Eindrücke aus Zinal 2019
„Stell Dich in die Zeit!“, meinte die Philosophin und Sozialökonomin Hilde Burjan einst. Das diesjährige Thema zum internationalen EUY-Kongress („Spiritualität im 21. Jahrhundert“) wurde diesem Ethos gerecht.
Ein forderndes Thema, das uns, die wir Yoga üben, viele Fragen stellt: Was ist eigentlich Spiritualität — wo beginnt sie und wo hört sie auf? Welche Denk- und Handlungsweisen sind im gegenwärtigen Jahrhundert (noch) stimmig? Was haben wir, die wir in Zinal versammelt sind, damit zu tun, dass der Amazonas brennt? Wo bleibt die Ethik bei der spirituellen Suche? Welche realistische Rolle spielt Yoga im heutigen Gesundheitssystem?
Diesen drängenden Themen stellten sich mehr als 300 Kongress-Besucher aus ganz Europa, die mit dem EUY-Veranstaltungsteam den 46. Yoga-Kongress in Zinal gestalteten. Auch dieses Jahr war der Kongress ein eindrückliches und erkenntnisreiches Erlebnis:
Der vorhergesagte Regen blieb aus — der Morgen dämmerte stets hell und sonnig. Aus der Boulangerie duftete es schon früh nach Süßem und Kaffee. Frühaufsteher praktizierten Outdoor-Yoga zum Sonnenaufgang oder weilten lieber in dem neu errichteten Reka-Village. Dort sorgte übrigens auch unsere liebe Alexandra Eichenauer-Knoll mit ihrem Yogaunterricht für Wertschätzung und Dankbarkeit.
Die Vormittage waren reich an Denkanstößen der hochkarätigen key speakers, Dr. Anna Gamma (CH), Dr. Richard Moss (USA), und Jeffrey C. Yuen (China). Als Impulsgeber formulierten sie Sätze wie: „Wir praktizieren Yoga, dass wir immer noch Boden in uns selbst haben, wenn das Leben den Teppich unter unseren Füßen herauszieht.“ oder „Sei kein Yogi. Praktiziere Yoga.“ Spiritualität bedeute vor allem die Notwendigkeit, mit dem Fluss des Lebens im Einklang zu sein und behutsame Resonanzräume mit uns selbst und unseren Mitmenschen zu pflegen. Die Vorträge waren ein Plädoyer an die Gemeinschaft. Spirituelle Suche im 21. Jahrhundert kann sich ohne Beziehungsfähigkeit nicht mehr weiterentwickeln, so die Botschaft. Wir sind gefordert, am Du zum Ich zu werden.
Neben den key speakers teilten auch internationale EUY-YogalehrerInnen während der gesamten Woche ihr Wissen und ihre Begeisterung für die Auseinandersetzung mit Körper, Geist und Herz. Das Angebot war bunt und innovativ. Unterrichtet wurde oft mehrsprachig, wobei immer wieder deutlich wurde, dass sich Kommunikation und Begegnung nicht nur durch eine geteilte Sprache einstellen. Im Gegenteil, Beziehung kann umso tiefer werden, wenn wir nicht auf Worte angewiesen sind.
Ein weiteres Highlight und gelungene Ergänzung zur Praxis auf der Matte war die Präsenz von Walter Wildi, Professor für Geologie an der Universität in Genf. Prof. Wildi unternahm mit den TeilnehmerInnen erlebnisreiche und informative Wanderungen durch das Zinal Tal. Dabei lehrte er die faszinierende Geologie und Geschichte des Tales. Auch dieser Lehrgang machte den Wandel der Zeit besonders deutlich: Gletscher schmelzen, Permafrostboden taut, das Gelände bricht. Das Thema „Spiritualität im 21. Jahrhundert“ wurde selbst in der Geologie sichtbar — Auch Zinal als Talgemeinschaft ist gefordert, sich an die Umstände der Zeit anzupassen und auf die Forderungen der Natur und der Menschen bedacht zu reagieren.
Abends sorgten unter anderem die französischen Musiker Sarada und Naren für musikalische Unterhaltung und getanzt wurde bis zur späten Abendstunde. All jene, die noch keine müden Tanzbeine hatten, versammelten sich anschließend im schrulligen Dorf Pub, wo die Tische für einen regen Austausch zusammengeschoben wurden. Der Weg nach Hause wurde dann zur stillen Sternenschau, die im Hochgebirge besonders berührt.
Spüren Sie es? Die Atmosphäre und die Umgebung in Zinal fördern ein erhöhtes Bewusstsein auf sehr natürliche Weise. Zinal ist ein Ort für internationalen Austausch mit Menschen, die ähnliche Bücher lesen und vergleichbare Intentionen schüren. Die Botschaft des 46. Yoga Kongress war, dass moderne Spiritualität vor allem bedeutet, in Beziehung zu treten. Genau hierfür hat der EUY-Kongress in Zinal Raum geboten.
Alexandra Eichenauer-Knoll meinte: „Zinal sollte man mal erlebt haben! Man fährt nach Indien oder Bali, also warum nicht auch nach Zinal? Und man kann die Bahn nehmen – ist doch viel ökologischer! Zinal ist das Mekka des europäischen Yoga, ein Kraftplatz und Ort mit großer Geschichte in Verbundenheit über alle Grenzen hinweg. Gerard Blitz, der diesen Ort gefunden hat, war auch Gründer des Club Mediteranée, auch dort war es sein Anliegen, Menschen durch eine neue Art von Cluburlaub miteinander zu verbinden.“
Entsprechend möchte ich diesen Bericht mit einer Einladung abschließen. Die Vorbereitungen für den nächsten EUY-Kongress haben bereits begonnen. Bilden wir Carpools. Teilen wir uns ein Chalet. Praktizieren wir zusammen. Gehen wir diesen Weg gemeinsam — und erleben wir Zinal 2020.
Dankbar für Euer Vertrauen,
Anna-Lena Burtscher, BYO Delegierte