Free the Spine – Yogini Kaliji im Gespräch
Kali Ray, die Gründerin des TriYoga, ist besonders durch wellenartige und die Wirbelsäule dynamisierende Flows berühmt geworden. Sie hat den Yoga neu systematisiert, in sieben Schwierigkeitsstufen unterteilt und über 1.000 Hand-Mudras entwickelt.
Von 29. April bis 1. Mai 2016 hielt sie mit ihrem Team ein Seminar in Wien. Im Vorfeld stellte ihr Alexandra Eichenauer-Knoll dazu ein paar Fragen. Die Übersetzung aus dem Englischen stammt von Eva Panny. Fotos: TriYoga
Gestern habe ich mir einige Videos angesehen, die Dich beim Üben zeigen. Das Beeindruckendste für mich war, dass Du dabei immer gelächelt hast. Ich konnte als Zuseherin Deine Freude spüren, und stellte mir die Frage: Ermutigst Du Deine SchülerInnen beim Üben zu lächeln?
Kali Ray: Das Lächeln entsteht für mich ganz von selbst. In einer Meditation – ich war damals 28 – tauchte dieses Lächeln auf, als ich den Energiefluss wahrnahm. Seit diesem Tag ist dieses innere Lächeln in meiner Meditationspraxis gegenwärtig. Ich habe meine SchülerInnen weder ermutigt noch ihnen abgeraten, in ihrer Yogapraxis zu lächeln. Mit dem Energiefluss entsteht dieses innere Lächeln. Es kann sich mehr nach Innen richten oder sich im Außen in einem Lächeln zeigen. Um nicht zu lächeln, müsste ich das Lächeln bewusst unterdrücken. Angeblich sind mehr Muskeln nötig, um finster zu schauen als um zu lächeln. TriYoga ist Entspannung in der Bewegung. Meine Gesichtsmuskeln entspannen sich in einem Lächeln, weil ich Frieden und Freude im Anahata Chakra (= Herzchakra) spüre.
Du hast einen eigenen Yogastil, den TriYoga, entwickelt. Bitte, erkläre die Bedeutung dieses Stils.
Kali Ray: TriYoga ist ein Lebensstil um Gesundheit, Wissen und Frieden zu erhöhen. TriYoga ist ein Purna Yoga, ein vollständiger Yogaweg. TriYoga beinhaltet verschiedene Übungsformen für Körper, Geist und Seele, sogenannte Tri-Körper. Der auf Eingebung basierende TriYoga Prasara ist der Ursprung der Übungspraxis. Er ist die Trinität (= Dreieinheit) von Asana, Pranayama und Mudra. Prasara bedeutet Meditation in der Bewegung (Flow) ohne nachzudenken. Im Yoga-Flow erhält man die meditative Bewusstheit, den Beobachterstatus, auf diese innewohnende Trinität aufrecht. Mit der Erhöhung des Prana richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Energie. Die Fokussierung auf Prana ist vergleichbar mit der Fokussierung auf den kosmischen Weg.
Vegane Ernährung sollte mit dieser sattvischen Praxis einhergehen. Yoga ohne bewusste Ernährung ist nicht möglich. Die vegane Ernährung ist die Ahimsa Ernährung. Im Yoga ist die Einhaltung des ersten Yamas, der Gewaltlosigkeit, verankert. Die vegane Ernährung ist die Ahimsa-Trinität für die Rechte der Tiere, die Gesundheit des Menschen und die Ökologie.
TriYoga Prasara wird systematisch unterrichtet und beginnt mit TriYoga Therapeutik und/oder Grundlagen 108 (Basics 108). Dann kommt Level 1/Erde, gefolgt von Wasser, Feuer, Luft und Raum. Die TriYoga Meditationsmethode heißt Prana Vidya, die Trinität von Pranayama, Dharana und Dhyana. Mudra, Nada und Jnana sind in die gesamte Praxis eingebunden.
Dieser Purna Yoga stellt einen spirituellen Weg zu Satchitananda dar, zur spirituellen Verwirklichung der innewohnenden, universellen Trinität. In der Yogaphilosophie wird die Seele, Atman, als Sat (ewige Wahrheit), Chit (Wissen) und Ananda (Freude) bezeichnet. Durch die Erweckung der universellen Energie erweitert sich das Bewusstsein. TriYoga verschmilzt mit Maha Prana, als Antrieb für unsere spirituelle, geistige und körperliche Reise.
Du praktizierst TriYoga seit über 30 Jahren, seit Du spontanes Asana zum ersten Mal erfahren hast. Hat sich der TriYoga Stil in diesem langen Zeitraum verändert bzw. weiterentwickelt?
Kali Ray: Das Wesentliche ist seit dem Beginn von Kriyavati, dem spontanen Kundalinifluss, gleich geblieben. In den letzten 36 Jahren, in denen Kriyavati TriYoga geleitet hat, erhält man mit den neuen Flow Sequenzen und Mudras immer mehr Wissen (jnana). Die von Kundalini eingegebene Bewegung manifestiert sich in drei Stufen: schnell, gemäßigt, langsam. Sie hat sich im Laufe der Jahre im Sinne von TriYoga Prasara verlangsamt. Doch während Kriyavati können bis heute alle drei Stufen bezeugt werden. Die Verfeinerung hat im Laufe der Jahre zugenommen. Es ist ein lebendiger Yoga. Er erweitert kontinuierlich alle, die ihn regelmäßig praktizieren.
Du hast viele Leute kennengelernt, viele von Rückenschmerzen Geplagte..
Kali Ray: Es heißt, dass der Hauptgrund, warum die meisten Leute mit Yoga beginnen, Rückenschmerzen sind. Uns ist von hunderten Leuten bestätigt worden, dass sie, seit sie TriYoga praktizieren, schmerzfrei sind. Oft sagen sie, dass die Schmerzen eigentlich ein Segen waren, weil sie nun Yoga entdeckt haben.
Der Titel Deines Seminars lautet „Befreie die Wirbelsäule“. Die Wirbelsäule ist in allen Yogastilen von zentraler Bedeutung. Welchen besonderen Ansatz hat die TriYoga Praxis?
Kali Ray: TriYoga hat eine einzigartigen Herangehensweise, bei der die Wirbelsäule sich wellenartig und fließend bewegt. Das gipfelt in fortlaufenden Asanas, die die ganze Bewegungspalette widerspiegeln: Beugung, Streckung, Drehung und seitliche Beugung. Diese Wellenbewegung beginnt entweder am unteren Ende der Wirbelsäule und setzt sich ganz nach oben fort, oder umgekehrt. Wirbel für Wirbel bewegt sie sich fließend in das Asana. Man bleibt in achtsamer Bewusstheit, weil es keine zufälligen Bewegungen gibt. Man fokussiert auf jeden Teil der Wirbelsäule gleich, wodurch die natürliche Ausrichtung der vier Krümmungen wieder hergestellt wird. Die Wirbelsäule ist wellenförmig. Daher befreien die wellenförmigen Bewegungen die Wirbelsäule auf ganz natürliche Weise.
Es ist ein Genuss, Deine Finger in Deiner Mudra Praxis zu beobachten. Als Zuseherin spürte ich meine steigende Aufmerksamkeit. Haben alle Mudras eine spezielle Bedeutung?
Kali Ray: Jede Fingerausrichtung ist einzigartig, sodass wir sagen können, dass die physischen Effekte sich auch bei minimalen Unterschieden zwischen den Mudras verändern. Innerhalb einer Mudrafamilie hat jede Geste eine ähnliche Bedeutung oder Wirkung. Mudras haben eine breite Bewegungs- und Bedeutungspalette.
In der Mudrasprache ist jedem Finger eines der fünf Pranas, ein Chakra, ein Element, ein Guna und eine Gottheit zugeordnet. Es gibt Nadis und Energiepunkte, die durch die Verbindung und den Druck, den die Finger ausüben, stimuliert werden. Die Vorteile und Bedeutungen verändern sich, abhängig davon, ob das Mudra mit Asana, Pranayama oder Meditation verwendet wird. Die Vorteile reichen von therapeutisch bis erhebend.
Ermutigst Du Deine SchülerInnen eigene Flows und Mudras zu entwickeln und zu erfahren?
Kali Ray: Der TriYoga umfasst insgesamt mehr als 1.000 Mudras. Die Mudras werden einzeln und in einer Flow Sequenz unterrichtet. Mudra ist die Fokussierung und Lenkung der Energie. Sobald die Energie zu fließen beginnt, kann es sein, dass man Mudra von Innen aufsteigen spürt. Im TriYoga liegt ein sehr tiefes Mudrawissen. Sinnvollerweise sollte man den richtigen Gebrauch von Hasta Mudras erlernen, und dann geduldig darauf warten, dass die Energie von innen heraus lenkt.
Eine Frage, die mich persönlich interessiert: Praktizierst Du auch ein Fußmudra, um die Energie dorthin zu lenken?
Kali Ray: Ja, im TriYoga gibt es verschieden Knöchel-, Fuß- und Zehensequenzen zur Flexibilisierung und Stärkung. Jeder Körperteil kann ein Mudra sein. Im TriYoga gibt es spezielle Fußhaltungen wie z.B. das Padra Padra Mudra, bei dem die Zehen ineinander verschränkt werden. Die Zehen können ohne Zuhilfenahme der Finger oder mit Unterstützung verschränkt werden, bis sich die Zehen freier bewegen können.
Du hast einmal in einem Interview gesagt, dass eine andere Bezeichnung für TriYoga Devi Yoga, Mutter Yoga, ist. Das ist sehr interessant. Ein Großteil aller Yogapraktizierenden und -lehrenden in Europa ist weiblich. Trotzdem höre ich ab und zu die Meinung, dass der Yoga zu männlich ist, und Frauen etwas Anderes, wie z.B. Bauchtanz, praktizieren sollten.
Kali Ray: Im Yoga geht es generell um die Erweckung der Kundalini. Im Sanskrit steht „Tri“ für die allumfassende Energie von Kali, Sarasvati und Lakshmi. Der Überbegriff für diese drei Energieformen lautet Göttin Mutter/Devi/Kundalini. Eine regelmäße Yogapraxis ist der Beginn körperlicher und geistiger Reinigung (Kali). Mit dem Loslassen nimmt die geistige Klarheit zu und die Weisheit übernimmt die Führung (Sarasvati). Wenn die Lebensenergie stark ist (Lakshmi), beginnt Glückseligkeit zu fließen.
Gefällt Dir Österreich? Gibt es generell und in der Yogapraxis einen Unterschied zwischen Österreich und Kalifornien?
Kali Ray: Ja, ich liebe Österreich und die fortschreitende Bewusstheit, die sich hier verbreitet. Ich bin, um ehrlich zu sein, selten in Kalifornien. Ich werde oft gefragt, in welche Länder ich am liebsten reise. Und Österreich steht ganz oben auf meiner Liste! Die Natur, die Geschichte, das Neue … ist ein Augen- und Seelenschmaus. Die Vielfalt der Musik liegt in der Luft. Meine österreichischen Freunde sind sehr herzliche Menschen. Ich bin ein Fan dieses Landes.
Sri Ganapati Sachchidananda aus Mysore hat Dich als Swami in der Jayalakshmi Datta Avadhoota Tradition eingeweiht.
Kali Ray: Das war ein informeller Akt, da ich diesen Lebensstil schon praktizierte. Zirka 20 Jahre später hat Sri Swamiji den „Titel“ von Swami auf Yogini geändert.
Du bist viel unterwegs. Fällt es Dir leicht, das Leben einer weitgereisten Yogini zu führen?
Kali Ray: Ja, kein Grund zur Beschwerde! Seit meinem ersten Besuch in Europa 2004 bin ich 54 Mal rund um den Erdball gereist um Yoga zu unterrichten. Das sind mehr als 1,3 Millionen Flugmeilen mit durchschnittlich 75 Flügen pro Jahr. Diese Reisetätigkeit hat begonnen, nachdem ich zum ersten Mal TriYoga in Europa vorstellte. Ich bin allen europäischen Yog/inis, die diesen transformierenden Yoga mit mir teilen, für ihre Unterstützung dankbar.
Seit Sommer 2015 erlebt Europa durch die Kriege im Mittleren Osten und die damit verbundene Flüchtlingswelle eine schwere Krise, die die Gesellschaft immer mehr in zwei Lager spaltet. Einerseits herrschen bei vielen Menschen Angst und Ablehnung vor, andererseits sind viele Menschen sehr hilfsbereit, bieten Zuflucht, zeigen Mitgefühl, und helfen im Sinne von Karma Yoga. In meinen Yogastunden wird dieses Thema oft diskutiert, die Menschen brauchen Zuspruch. Was können wir tun, um unsere Ängste abzubauen?
Kali Ray: Dem Dharma, dem Weg des rechten Handelns, folgen. Die regelmäßige Yogapraxis fortsetzen. Jede/r muss für sich entscheiden, wie sie dazu stehen. Angst lähmt Körper und Geist. Sie trübt unsere Klarheit. Nimm in solchen Krisensituationen Zuflucht im Yoga. Der Geist der Weisheit wird Dich leiten, wenn sich Dein Geist beruhigt. Das ist eine Gelegenheit, unseren Ängsten zu begegnen und sie in Wissen zu verwandeln.