Pranayama 4-teilige Weiterbildung
Dagmar Shorny startet im Mai mit einer 4-teiligen Weiterbildung zum Thema Pranayama. Sie ist Yogalehrerin BYO/EYU, studierte Philosophie (mit Ergänzung Indologie) und absolvierte Yogalehrausbildung bei R. Sriram,Yogasutra- und Samkhya Fortbildung bei R. Sriram sowie Yogatherapie am KYM, Krishnamacharya Yoga Mandiram. Dagmar Shorny leitet seit 2008 Aus- und Weiterbildungen für Yogalehrende und gründete die Yoga Pushpa, Schule für Yoga in Wien.
Die Weiterbildung ist nun eine gute Gelegenheit für Vertiefung und bietet genügend Zeit zwischen den Einheiten, um den eigenen Unterricht zu reflektieren und Neues auszuprobieren. Alexandra Eichenauer-Knoll stellte Dagmar Shorny im Vorfeld dazu zwei Fragen.
Alexandra: Anna Trökes schreibt in ihren Erläuterungen zum Sūtra 2.50 über Prāṇāyāma, dass man davon abgeleitet unterschiedliche Schulen erkennen könne: jene die den Atem zählen und jene wie Sriram, die den Atem fein führen. Das finde ich interessant. Was meinst du dazu? (Vgl. Trökes, Die kleine Yoga-Philosophie, Seite 197)
Dagmar Shorny: Ja Prāṇāyāma, der Atemübung, wird im Yogasūtra große Wichtigkeit zugesprochen. Vier Sutras sind ihm gewidmet: 2.50 bis 2.53. Durch die Atemübung wird das Denken (manas) fähig, sich anhaltend auszurichten (dhāraṇā) (2.53) und ein inneres Licht (prakāśa) (2.52) leuchtet auf.
Prāṇāyāma ist also nichts weniger als eine direkte Vorbereitung auf die Meditation, kann selbst schon Meditation sein. Oft wird es als die Brücke zwischen außen und innen bezeichnet, im Yogasutra gleichbedeutend mit der Brücke von der Zerstreuung zur Sammlung.
Nur ein Sūtra, nämlich 2.50 spricht die Prāṇāyāma Technik an. Ich zitiere es hier in der Übersetzung von Sriram:
Prāṇāyāma (die Atemtechnik) wird geübt mit umsichtigem Einfühlen in die Ausatmung, die Einatmung und das Anhalten, die Körpergegend, in der sich der Atem abspielt, die Länge jeder Atemphase und in die Anzahl der Atemzüge. Dabei wird der Atem lang und zugleich sanft geführt.
(Patanjali, Das Yogasutra. Von der Erkenntnis zur Befreiung. Übersetzt von R. Sriram. Theseus, Berlin 2006, S. 144)
Es wird hier von mehreren Aspekten der Atemtechnik gesprochen:
Zunächst den drei Atemphasen: Einatmung, Ausatmung und Halt, was den Halt nach der Einatmung und den Halt nach der Ausatmung betreffen kann. Allein hier haben wir viele Variationsmöglichkeiten, die eine oder die andere Phase oder mehrere davon zu betonen, oder hervorzuheben. Ein Prāṇāyāma wird eine andere Wirkung entfalten je nachdem, ob wir es mit Halt nach der Einatmung üben oder nicht.
Dann der Ort im Körper (deśa), auf den die jeweilige Technik ihren Schwerpunkt legt. Ist es die Nase, wie bei Naḍī śodhana, ist es die Kehle wie bei Ujjāyī, ist es der Unterbauch, wie bei Bahya Kumbhaka (Halt nach der Ausatmung) etc. etc. ? Abgesehen vom Ort im Körper, den die Technik vorgibt, könnten wir auch unsere Aufmerksamkeit zusätzlich zur Prāṇāyāma Praxis auf einen Ort im Körper richten, zB. den Herzraum, so geben wir der Prāṇāyāma Praxis eine noch meditativere Note.
Der nächste Aspekt ist die Zeit (Kāla), damit ist die Länge der Atemphasen gemeint. Verlängern wir die Ausatmung oder die Einatmung oder den Halt nach der Ausatmung oder den Halt nach der Einatmung? Wir haben alle Möglichkeiten, wichtig ist, dass wir wissen, warum wir es tun und wie wir es schrittweise und ohne Druck einführen können.
Dann die Anzahl der Atemzüge (Sāṃkhya), es wird einen Unterschied machen, ob wir ein Prāṇāyāma für 12, für 24, 36 oder 64 Atemzüge üben. 12 ist so eine Mindestanzahl, wenn wir regelmäßig üben und eine Wirkung wünschen. Wenn wir so vorgehen, zählen wir die Atemzüge indem sich der Daumen von Fingerkuppe zu Finderkuppe weiterbewegt.
Zusätzlich zu diesen Aspekten der Technik wird uns gesagt, die Atmung soll im Prāṇāyāma lang (dīrgha) und fein (sūkṣma) sein. Diese Grundqualitäten sind für den Atem genauso wichtig wie sthira und sukha (Stabilität und Leichtigkeit) für den Körper. Das Feinführen der Atmung ist also eine Qualität, die egal welche Technik wir verwenden und egal, ob wir zählen oder nicht möglich sein sollte, es ist unser Indikator, ob wir die Technik richtig anwenden, ob wir uns überfordern oder zur Ruhe kommen, ob wir uns Druck machen oder nicht. Sobald es nicht mehr möglich ist, lang, fein und fließend zu atmen, sollte etwas verändert werden.
Ob wir nun zählen oder nicht, ist eine Frage der Variation oder der Anwendung. Wir könnten die oben aufgezählten Aspekte der Technik auf vielfache Weise kombinieren, mehr den einen oder den anderen Aspekt betonen, je nachdem wozu wir Prāṇāyāma üben und was den Übenden mehr entspricht. Das Zählen der Atemlänge betrifft die Länge der Atemphasen (Kāla, s.o.). Wir könnten uns z. B. eine Person vorstellen, die sich vor dem Einschlafen beruhigen möchte und deshalb die Ausatmung verlängern möchte. Sie hat die Möglichkeit zu zählen, wenn es ihr entgegenkommt, sie könnte aber auch frei nach Gefühl die Ausatmung immer länger und feiner werden lassen, sie könnte auch statt mit Zahlen mit einem kleinen Silbenmantra zählen, das sie von Atemzug zu Atemzug immer öfter wiederholt, üben. Manche Menschen mögen das Zählen mit Zahlen, es hält sie gut bei der Sache, andere lehnen es ab. Es ist also eine Frage der individuellen Anpassung. Wichtig ist nicht, auf welche Art und Weise die Atmung verlängert wird, sondern dass es ohne Druck und gut gelingt. Wir müssen nicht von unterschiedlichen Schulen sprechen, wenn wir Techniken variieren. Aber dass der Atem lang und fein werden sollte, das gilt immer, egal wie wir üben. So habe ich es bei Sriram kennengelernt.
Alexandra: Wie hat sich das Unterrichten von Prāṇāyāma, oder „banaler“ das Ansagen von Atem im Asana über die letzten Jahre geändert? Geht man weg von der Idee Ausatmung und Einatmung anzusagen? Oder sind es nach wie vor unterschiedlich parallele Strömungen? Verändern sich da die Erkenntnisse?
Dagmar Shorny: Die Yogaszene ist ja sehr vielfältig, manche Yogalehrende werden jeden Atemzug zur jeweiligen Bewegung ansagen, andere lassen den Atem ganz frei, ich glaube nicht, dass es da kohärente Entwicklungen gibt. Was aber immer mehr akzeptiert wird, scheint mir, ist, dass es für den Atem besonders wichtig ist, nie unter Druck zu kommen, und dass es wichtig ist, da ganz der eigenen Wahrnehmung zu trauen. Ich würde sagen, wann immer es nicht möglich ist, innerhalb einer Yogaeinheit aus dem angesagten Atemtempo auszusteigen, weil man sich damit nicht wohlfühlt, läuft etwas falsch. So viel Freiraum, um in ein eigenes Atmen zu finden, sollte immer gegeben sein.
Bei Sriram und auch bei Desikachar oder am Mandiram in Chennai habe ich es so kennengelernt, dass im dynamischen Üben (z. B. Sonnengruß-Abläufe), wo es wichtig ist, Atem und Bewegung fließend zu verbinden, vorerst erklärt und vorgezeigt wird, mit welchen Bewegungen ein- bzw. ausgeatmet wird. Dann wird es noch ein oder zweimal angesagt, und dann wird man mit sich allein gelassen und folgt dem eigenen Rhythmus. So kann man sich allmählich auf den eigenen Atem ganz einlassen und wird darüberhinaus selbständig in der Praxis, man schafft es auch gut, für sich allein zu üben.
Man lernt den eigenen Atem genau kennen, und lässt sich von ihm tragen. Und das ist das größte Geschenk, das uns die Atemübung macht: die Vertrautheit mit dem eigenen Atmen. Zu spüren, wann sich etwas verändert und so darauf einwirken zu können, dass wir uns mit uns selbst zu Hause fühlen.